"Nicht alles machen, was machbar ist"

Kürzlich sprach die Psychologin und Psychotherapeutin Boglarka Hadinger bei einem Vortrag für das Katholische Bildungswerk Salzburg, anlässlich des 25-Jahr-Jubiläums des Eltern-Kind-Zentrums, über menschliche Reife - was sie ausmacht und wie man sie erlangen kann.

"Was hohes Kompetenzniveau gepaart mit geringer menschlicher Reife anrichten kann, dass hat uns die Finanzkrise gezeigt", meint die Psychologin Boglarka Hadinger. "Sie können viel machen, sie fragten sich aber nicht wozu. Und das kann verheerende Folgen haben." In den nächsten Jahrzehnten wird man reife Menschen an wichtigen Positionen brauchen, die nicht alles machen, was machbar ist. Zudem bringt menschliche Reife Lebensqualität und wirkt präventiv.

Wie sich Reife kennzeichnet, kann man an acht Merkmalen erkennen, die auch als Weg zur Reife gesehen werden können. Das erste Merkmal ist die Auseinandersetzung mit den eigenen "Rucksackthemen". Jeder von uns hat konstitutionsbedingt gewisse Handicaps, die eine Entwicklung blockieren können. Ein reifer Mensch möchte diese kennen lernen und abmildern können.

Es gibt keinen Menschen ohne Begabungen. Jeder hat die Anlagen für irgendein Talent in sich. Werden diese guten Begabungen nicht geschult, so verursacht das innerseelischen Terror. Bei Männern äußert sich dies oft in permanenter Übellaunigkeit, während sich Frauen eher in die Opferrolle begeben. Interessanterweise entdeckt man Begabungen oft erst nach dem 40. Lebensjahr. Es ist demnach sinnvoll, seine Ressourcen kennen lernen zu wollen und Verantwortung für sie zu übernehmen.

Das dritte Merkmal ist, dass man den Sinn für die Wunder in der Welt nicht verliert - so wie ihn Kinder ganz selbstverständlich haben. Solche Wunder können beispielsweise Begegnungen mit besonderen Menschen oder Ereignisse in der Natur sein. Damit in Zusammenhang steht die Achtung vor der beseelten und auch der unbeseelten Welt. Wer sich einmal vorstellt, wie viel Gedankenarbeit in bestimmten Gegenständen steckt, wird ein Gespür dafür entwickeln, welchen Wert manche materielle Dinge wirklich haben.

Dass man nicht alles machen sollte, was machbar ist, wurde bereits erwähnt. Genauso sollte man nicht alles sagen, was man sagen kann. Als Kind tut es gut und es ist gesund, wenn man seine erstbesten Empfindungen sofort mitteilt. Beim Erwachsenen ist dies jedoch das Gegenteil von Reife. Wer nicht alles gleich sagt ist zudem beziehungsfähiger.

Jedes Lebensalter beinhaltet gewisse Aufgaben, denen man sich stellen muss. Ob es nun eine Beziehung ist die man eingeht oder beendet, sich für etwas einsetzt oder auf einen neuen Lebensabschnitt einstellt. Es gibt viele Dinge vor denen man nicht davon laufen sollte, weil sie einen sonst wahrscheinlich irgendwann einholen.

Die beiden letzten Merkmale von Reife sind, dass man sich nicht von jedem unangenehmen Ereignis frustrieren lässt und die Liebe zur Weisheit. Weise Sätze haben eine magische Kraft, da sie verdichtete Lebenserfahrung sind, an denen sich spätere Generationen orientieren können.


C.H., Okt. 2010

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Dr. Boglarka Hadinger, Dipl.- Psychologin und Psychotherapeutin. Viktor-Frankl-Preisträgerin. Leiterin des Instituts für Logotherapie und Existenzanalyse Tübingen / Wien. Lehrtherapeutin, Seminarleiterin, Referentin im In- und Ausland. Dozentin an der Sigmund-Freud-Universität Wien und an der Pädagogischen Hochschule Kärnten