Wer verzeihen will, muss anklagen

Am 19. März sprach der Berliner Theologe und Psychotherapeut Günter Funke im ausverkauften Kapitelsaal darüber, was Versöhnung bedeutet und warum wir viel öfter aufschreien müssen.

Sich Versöhnen bedeutet nicht, dem anderen zu sagen: Es war ja nicht so schlimm! Ganz im Gegenteil: Wer verzeihen will, muss zu allererst anklagen. Für ein "Miteinander" ist es wichtig, sich einzugestehen, dass der andere schuldig geworden ist. "So lang es weh tut, sind Sie für sich selbst verantwortlich", sagt Günter Funke. "Wenn man nicht mit sich im Reinen ist, lehnt man sich selbst ab."

Für Funke ist die "Selbstablehnung" eine Ursache der steigenden Gewalt in unserer Gesellschaft. Bereits unsere Kinder sind einem enormen Leistungsdruck ausgesetzt und müssen "funktionieren". Eine Gesellschaft die nur mehr funktioniert ist tot und lässt sich nicht mit einer lebensbejahenden Einstellung vereinen. Versöhnung muss also auch auf anderen Ebenen stattfinden.

In seinem Vortrag plädiert Funke für die Entwicklung einer Kultur, in der es selbstverständlich ist, sich zu entschuldigen. Dazu gehört, dass wir viel sensibler werden und viel öfter aufschreien - so wie ein Kind ganz selbstverständlich aufschreit, wenn es Schmerz fühlt. Der Aufschrei ist die Orientierung für den anderen: Du hast etwas falsch gemacht. Vergeben bedeutet manchmal auch einen Abbruch der Beziehung. "Man gibt den anderen frei." Aus dieser Erkenntnis leitet sich auch der Titel des Vortrages "Sich versöhnen befreit" ab.

Das Katholische Bildungswerk Salzburg freute sich über 280 interessierte BesucherInnen, die nach dem Vortrag noch Fragen an Günter Funke stellen konnten.


C.H., März 2009

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Günter Funke, Theologe, Psychotherapeut, Existenzanalytiker nach Viktor E. Frankl, Leiter des Berliner Instituts für Existenzanalyse und Lebensphänomenologie, Publikum im ausverkauften Kapitelsaal