Berührt in Zeiten der Unberührbarkeit
Zärtlichkeit als Schlüssel zu einem neuen Miteinander
Das Wort Zärtlichkeit mag in unserer Zeit sentimental oder kitschig anmuten, für die Philosophin und Theologin Isabella Guanzini allerdings ist fürsorgliche Zuneigung eine sanfte Macht, eine geistige Haltung, die das volle Potenzial des menschlichen Lebens freisetzt. Auf Einladung des Katholischen Bildungswerkes Salzburg führte sie ihre Überlegungen in einem Online-Vortrag aus.
2019 brachte Isabella Guanzini das Buch „Zärtlichkeit – eine Philosophie der sanften Macht“ heraus, in dem sie eine Lanze für die vermeintlich weiche Seite der Menschen bricht. Sie sieht Zärtlichkeit gänzlich ohne Peinlichkeit oder Zynismus, sondern vielmehr als ein menschliches Grundbedürfnis und als jene Kraft, die uns auf die Welt gebracht hat. Die Coronavirus-Pandemie brachte die kollektive Erkenntnis, dass die Präsenz des anderen für uns entscheidend ist. Das Virus hat die Koordinaten des Alltags auf ungeahnte Weise durcheinandergebracht. Von einem Tag auf den anderen war das gewohnte soziale Leben unmöglich geworden – die Angst vor Ansteckung wurde zum Hauptsymptom unserer globalen Welt. Was folgte, bezeichnet Guanzini als „globales Mönchtum“, in dem Menschen sich ihrer Verletzlichkeit bewusst wurden und gezwungen waren, sich zu isolieren und auf Abstand zu gehen. Bildlich gesprochen verwandelte sich die Vertrautheit der Welt, wie wir sie bisher kannten, in ein schwankendes Boot. In diesem Motiv des Schwankenden sieht die Theologin aber auch einen fundamentalen Ort der Gottesbegegnung. Das Schwanken könne nicht nur destruktive, sondern auch kreative Kräfte in sich tragen. In der Sensibilität und einer zärtlichen Gestik des Alltags sieht Guanzini den Schlüssel dazu, etablierte Wege zu verlassen und neue zu finden. Und gerade dadurch in Zeiten einer durch Unberührbarkeit geprägten Pandemie der ursprünglichen Berührbarkeit wieder mehr Raum zu geben.
C.K., Mai 2021