Die Kirche ist kein Evakuierungstrupp in den Himmel!

Paul M. Zulehner über die gesellschaftspolitische und spirituelle Verantwortung der Kirche in Krisenzeiten

Der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner war im Salzburger Kapitelsaal zu Gast. Seine Kurzformel für den christlichen Auftrag in der Nachfolge Jesu: Kirche müsse „von Gott her in die Niederungen der Welt eintauchen, um gerade dort würdevolles Leben zu ermöglichen.“

Die katholische Kirche ist in Bewegung: Der von Papst Franziskus initiierte „Synodale Prozess“ der Weltkirche geht in die nächsten Phasen. Bei einem Vortrag des Katholischen Bildungswerkes Salzburg begrüßte der Wiener Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul M. Zulehner den weltweiten Konsultierungs- und Entscheidungsprozess als „zutiefst urkirchlich“: Es sei seit dem Beginn der Jesusbewegung immer ein Balanceakt zwischen unterschiedlichen Perspektiven und Strömungen gewesen, die das Gesicht der Kirche geprägt haben. Gleichzeitig warnte der renommierte Forscher aber vor einer übermäßigen Selbstorientierung der Kirche: „Verliert die Kirche aus dem Blick, dass ihr Auftrag zu Mission und Verkündigung die Sorge um die Menschen und die Welt im Zentrum haben muss, dann droht eine ‚Kirchenimplosion‘.“ In einer solchen wäre das System Kirche zwar neu reformiert und abgesichert, aber das eigentliche Kriterium kirchlichen Handelns, nämlich das gelingende „Leben in Fülle“ für alle Menschen, wäre aus dem Blick geraten. Keinen Zweifel ließ Paul M. Zulehner daran, dass ein Großteil der kirchlichen Arbeit eigentlich an bzw. jenseits ihrer Grenzen investiert werden müsse: „Zwei Drittel der kirchlichen Energie müssten sich den Menschen am Rand und der Welt im Ganzen widmen – denn genau für diese ist die Kirche da. Ihr Auftrag ist nicht die Verwaltung des Eigenen, sondern die Begleitung und Ermächtigung aller zu einem menschenwürden Leben.“ Diese Berufung, meinte der Pastoraltheologe auch selbstkritisch, wurde durch die Jahrhunderte nicht nur immer wieder vergessen, sondern oftmals richtiggehend verraten.
Zulehner plädiert deshalb für eine Kirche, die ihre eigene Gottverbundenheit pflegt, ihre spirituelle Tiefe ernst nimmt, in weiterer Folge aber keine Scheu davor hat, tief in die Fragen, Sorgen und Nöte der Welt einzutauchen und diese Problemfelder zu ihren eigenen zu machen. „Kirche ist kein Evakuierungstrupp in den Himmel, sondern sie soll der taumelnden Welt Hoffnung, Lebensmöglichkeiten und Perspektiven bringen“, unterstreicht der Pastoraltheologe. Für eine Glaubensgemeinschaft im Sinne Jesu könne es deshalb nur Formen von Theologie und Pastoral geben, welche die Gläubigen zu einem selbstständigen Handeln ermächtigen. Dies erfordere aber eine Haltung, die den Menschen etwas zutraut. Das lasse sich besonders bei Papst Franziskus erkennen, so Zulehner, wenn der Pontifex bei Entscheidungsprozessen so viele Menschen wie möglich einbeziehe.
„Synodalität heißt letzten Endes auch immer, dass man Widerstände und Gegenstimmen kreativ in einen gemeinsamen Prozess einbinden muss.“ Dies geschehe nicht in abgeschlossenen Kammern, sondern in offenen Begegnungsräumen, in denen Menschen zusammenkommen und um den Auftrag Jesu an die Gläubigen und die Kirche ringen.


A. W., Okt. 2022

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Bild: em. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner