Die Wende hat schon begonnen!
Rudi Anschober über die aktuellen Herausforderungen und mögliche Lösungswege
Die gegenwärtigen Krisen seien nicht nur eine Aneinanderreihung von brenzligen Situationen, so der ehemalige Politiker. „Vielmehr haben wir es mit sich verstärkenden Überlagerungen zu tun, die nicht nur auf einen Bereich des Lebens beschränkt sind.“ Sie könnten zwar voneinander unterschieden, nicht aber getrennt werden: „Die Krisen unserer Tage hängen eng zusammen.“ Eine Lösung aus dieser „Polykrise“ scheint nur schwer möglich zu sein, tatsächlich aber gibt es schon Entwicklungen, die Hoffnung machen können.
Den Startpunkt für das traditionelle Stadtforum des Katholischen Bildungswerkes Salzburg bildete in diesem Veranstaltungsherbst der ehemalige Politiker Rudolf Anschober im Oval, der Bühne im Europark. Anschober, selbst als Sozial- und Gesundheitsminister während der Corona-Krise 2020 und 2021 unter enormen Druck und Zugzwang, wandte sich den gesellschaftlichen Störfeldern unserer Tage zu. Dieses Mal nicht aus der Warte der Politik, sondern als scharfer Gesellschaftsanalytiker.
„Die Stimmung ist gekippt“, so das knappe, aber eindringliche Urteil von Rudi Anschober. „In den letzten Jahren wurde die Atmosphäre in unterschiedlichen Ländern Europas immer schlechter.“ Zukunftsängste nahmen zu, das Interesse an öffentlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen wurde verschwindend gering und die Bevölkerung verlor zunehmend das Vertrauen in die politische Führung.
In diesem Trend des steigenden Misstrauens und der zunehmenden Enttäuschung erstarkten extremistische Parteien – und zwar weltweit, nicht nur in Europa. Die Unsicherheit in den gesellschaftspolitischen, wirtschaftlichen und sozialen Umständen habe mittlerweile Auswirkungen, die alle Menschen in ihrem Alltag spüren und nachempfinden können. Die Menschen leiden zunehmend unter Belastungen, Angst, Pessimismus und Resignation.
Dafür war nicht nur eine Krise in den letzten Jahren verantwortlich, sondern wir erleben seit Jahren mehrere Dauerkrisen, die eng miteinander verwoben sind: „Wir leben in einer Polykrise“, so Anschober. Man könne in einer globalisierten und stark vernetzten Welt keine Trennstriche zwischen die einzelnen Prozesse und Problemfelder einfügen – vielmehr liege es auf der Hand, dass die unterschiedlichen Tendenzen zusammenhängen und ineinanderwirken. „Pandemie, Krieg, Energiekrise, Inflation, Wirtschaftskrise, Sozialkrise etc. sind Teil ein und derselben Polykrise, in der wir derzeit leben.“
Dennoch ließ Anschober keinen Zweifel: „Aus allen Krisen kann man lernen – so auch aus den aktuellen.“ Die Frage jedoch sei, wie die Menschen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge in diesen Lernprozess finden und positive Handlungsmöglichkeiten entwickeln könnten. Ein Schlüsselwort dafür ist für Anschober nach wie vor die Solidarität: „Nur, wenn die Gesellschaft und die Menschen in ihr zusammenstehen, kann eine Krise auch bewältigt und daraus gelernt werden.“ Der „Chor der Dissonanz“, d.h. wenn nicht mehr miteinander diskutiert und gemeinsam an Lösungen gesucht, sondern gerade jegliche Bedingung eines offenen Diskurses untergraben wird, sei der Kipppunkt einer jeden Gesellschaft.
Um Krisen als Chancen wahrzunehmen und daraus alternative Konzepte zu gewinnen, brauche es zentrale Ansätze in den „Schaltmomenten“ dieser Polykrise: „Der Naturschutz und der Klimaschutz sind zwei Kernelemente einer solchen Umkehr“, betonte Anschober. Zahlreiche Konflikte und Ungerechtigkeiten ließen sich direkt auf die Klimakatastrophe zurückführen, wesentliche Teile der Enttäuschung in der Bevölkerung kommen auch aus der Resignation in diesen Zusammenhängen. Würde die Klimawende geschafft werden, dann würde sich nicht nur die Lebensqualität verbessern, sondern auch eine Basis eines neuen Gemeinwohls und einer erneuerten Solidarität geschaffen. Es gehe darum, im öffentlichen Diskurs nicht nur die negativen Brennpunkte wahrzunehmen und zu thematisieren, sondern auch positive „Kipppunkte“ des Lebens und der Gesellschaftsentwicklung wahrzunehmen. „Hoffnung, Faszination und praktische Erfolgserlebnisse können nicht nur im Großen, sondern auch im Kleinen als inspirierend und motivierend erlebt werden“, unterstrich Anschober. „Wir brauchen keine täglichen Nachrichten aus der Apokalypse, sondern wir sollten uns schrittweise einer veränderten Lebensqualität annähern.“
Es ließen sich bereits jetzt Ansatzpunkte für ein verändertes Bewusstsein finden – es müsse aber der Blick dafür offenbleiben: Ob dies der Rückgang des Fleischkonsums, die Zunahme von shared economy sei oder die Zunahme der alternativen Energiequellen. Hier gebe es positive Ansätze, die auf einen Umschwung hoffen lassen – und „genau diese Aspekte gilt es nach außen stark zu machen und so auch die Stimmung in der Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Die Wende hat schon begonnen!“, so Anschober.
A.W. Sept. 2023