Selbstwert - Selbstbild - Selbstvermarktung
Der dritte Tag der Internationalen Pädagogischen Werktagung näherte sich dem Thema Anerkennung mit einem Blick auf Selbstbild und Fremdbild. Gerichtspsychiaterin Adelheid Kastner und Medienwissenschafter Bernhard Pörksen gaben eindrucksvolle Einblicke in ihre Arbeit und Forschung.
Adelheid Kastner stellt in ihrer Arbeit mit Straftätern eine herausragende Konstante fest: Fehlende Akzeptanz und Zuwendung der engsten Bezugspersonen sind der Nährboden für spätere massive Selbstwertdefizite. Ein Spannungsbogen baut sich auf zwischen eigenem Selbstbild und den Rückmeldungen anderer. Wenn diese Rückmeldungen immer mehr vom Selbstbild divergieren, reicht ein Funke, um eine kritische Situation eskalieren zu lassen. Explosionen der Aggression sind in Kastners beruflichem Umfeld die traurige Folge der erfahrenen "Wertlosigkeit" des Täters.
Selbstvertrauen und eigene Wertigkeit entstehen in einem Umfeld bedingungsloser Akzeptanz durch die Bezugspersonen. Eine besondere Herausforderung stellt die Pubertät dar. Junge Menschen durchleben massive organische Veränderungen während sie gleichzeitig mit anspruchsvollen Aufgaben wie Entwicklung von Identität, Individualität, Autonomie und Intimität konfrontiert sind. "Pubertät sehe ich so ähnlich wie eine schwere Geisteskrankheit", stellt Kastner im Wissen um diese Veränderungen launig fest, "es ist erstaunlich wie viele unbeschadet daraus hervorgehen."
Bernhard Pörksen ging in seinem Vortrag ebenfalls auf Selbst- und Fremdbilder ein und konzentrierte sich auf die Möglichkeiten der Selbstrepräsentation im digitalen Zeitalter sowie auf die damit verbundenen dramatischen Reputationsrisiken. Die "Sehnsucht nach der großen Gala" ist stark in einer Kultur, die Selbstmarketing massiv fördert. Ich sende, also bin ich. Gewonnene Aufmerksamkeit an sich gilt bereits als Wert. Bringt die Werbung in eigener Sache allerdings nicht den gewünschten Effekt, lässt Spott, Demütigung und "toxische Abwertung" nicht lange auf sich warten. "Das böse Lachen beginnt globale Ausmaße anzunehmen", verdeutlicht Bernhard Pörksen anhand von Beispielen aus der digitalen Medienwelt. Es entstehen verzerrte, einseitige "Schrumpfbiografien", die im Extremfall nichts mehr mit dem Selbstbild eines Menschen zu tun haben.
Smartphones und andere mediale Instrumente - in Pörksens Worten "Allzweckwaffen der Skandalisierung" - ermöglichen auch das Phänomen der "Mitmach-Medien": plötzlich gibt es neue Enthüller, neue Themen, neue Maßstäbe der Relevanz, neue Opfer. Publizität erhält, was (vermeintlich) von Interesse ist, das Diktat der Relevanz verliert zunehmend an Bedeutung. Privates und Öffentliches beginnt zu verschmelzen, unsere "Aufmerksamkeitsgesellschaft" scheint sich in ständigem Standby-Modus zu befinden.
Was können wir also tun? Bernhard Pörksen formuliert den Imperativ des digitalen Zeitalters: Öffentliche Effekte jeglicher Kommunikation müssen langfristig vertretbar sein. Die große Öffentlichkeit muss mitgedacht werden, auch in semi- oder inoffiziellen Situationen. Es bleibt die Hoffnung, dass die Frage der Relevanz wieder mehr ins Bewusstsein rückt.
C.K., Juli 2015