Sind Schuld und Vergebung noch zeitgemäß?

Das Interesse an einem der Kernthemen der Reformation war groß. Im Hörsaal der Katholisch-Theologischen Fakultät Salzburg fanden sich zahlreiche Besucher ein, um sich mit jener Thematik auseinanderzusetzen, die Martin Luther zeitlebens geprägt hat: Rechtfertigung und Vergebung. Mit dem Salzburger Professor Gregor Maria Hoff diskutierten Generalvikar Roland Rasser, der evangelisch-methodistische Pastor Lothar Pöll, sowie der evangelische Superintendent Olivier Dantine.

In seinem Impulsvortrag betonte Gregor Maria Hoff die Vergebung als eine Form der lebendigen Verwandlung. Sie könne weder gefordert noch erzwungen werden, sondern sie erweise sich vielmehr an jenen Orten und Ereignissen, an denen angesichts von ausweglosen Situationen und drohender Vernichtung trotzdem das Leben gewählt wird. "Vergebung ist mehr als Begnadigung. Sie verwandelt die Menschen - nicht nur den, dem vergeben wird, sondern auch den, der vergibt."

Olivier Dantine betonte, dass es heute einen umso größeren Bedarf an Vergebung benötigt, als man im Zeitalter des Internets mit einer dauerhaften Schuld konfrontiert wird. "Diese Öffentlichkeit ist eine in vielen Bereichen unbarmherzige Wirklichkeit. Jeder Fehltritt wird aufgezeichnet und Vergebung findet nur sehr schwer Platz." Ähnlich sah es Roland Rasser, wenn er in Erinnerung an die Tragödie von Kaprun mahnte: "In unserer Zeit ist man immer auf der Suche nach Schuld. Man fordert Verantwortliche und Schuldige, dabei ergibt sich aber eine Kluft zwischen der erhofften Vergebung und der unbedingt erforderlichen Schuld."

Der Stellenwert der Vergebung, so waren sich die Theologen einig, ist auch in der gegenwärtigen Zeit nicht gesunken. Man sei besonders in Situationen, in denen man mit menschlichen Schicksalen und Tod konfrontiert ist, weiterhin auf diese Lebensmacht angewiesen. "Diese Vergebung ist nie einfach zu haben", so Hoff. Der Weg der Vergebung sei deshalb auch eine "Lebensschule der Hoffnung."


A.W., November 2017

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