Verschwörungsideologien gehen uns alle an!

Wie die gefährlichen Erzählungen ganze Gesellschaften, Staaten und Familien gefährden.

Nur wenige Tage vor Beginn des neuerlichen Corona-Lockdowns beschäftigte sich in Salzburg eine Podiumsdiskussion mit dem brandaktuellen Thema der Verschwörungsideologien.

Das Katholische Bildungswerk Salzburg, die Universität Salzburg und das Zentrum für jüdische Kulturgeschichte luden in den größten Hörsaal der Katholisch-Theologischen-Fakultät. Der Zeitpunkt für die Auseinandersetzung mit Verschwörungsideologien hätte wohl nicht besser passen können. Sichtbar wurde in den Statements der ExpertInnen, dass das Phänomen nicht nur auf einen kleinen Teil der Bevölkerung beschränkt ist.
„Es wäre zu einfach, würden wir die AnhängerInnen von Verschwörungserzählungen als isolierte und abgeschlossene Gruppe behandeln“, ist sich Verena Fabris sicher. Die Leiterin der Beratungsstelle Extremismus (bOJA) aus Wien betont, dass es immer auch gesellschaftliche Bedingungen sind, die Ideologien wachsen und gefährliche Bewegungen entstehen lassen. „Verschwörungsgeschichten üben Faszination aus, weil sie den Zugang zu einer geheimen Wahrheit versprechen, aus der man die Wirklichkeit anders erklären kann“, fährt Fabris fort. Menschen, die sich solchen Mythen anschließen, entlasten sich dadurch, weil sie alle Probleme, Fragen und Ereignisse anhand einer einzigen Scheinlogik erklären möchten.
Ähnlich sah es auch Franz Hammer, Extremismusbeauftragter im Kulturbüro Sachsen: „Menschen, die extremistischen Ansichten folgen, nehmen sehr viel in Kauf: Sie kapseln sich in eine parallele Welt ab – und zwar nicht nur theoretisch, sondern vielerorts auch in all ihren Kontakten und Lebensumständen.“ Die Personen, so Hammer, suchen nicht selten den Weg in die Anonymität, oftmals nehmen sie ihre ganze Familie mit und man sammelt sich mit Gleichgesinnten, was den inneren Zusammenhalt und die starre Perspektive auf die Welt noch einmal verschärft. Dies erkläre auch, warum sich in aktuellen Corona-Debatten viele extremistische Ansichten überlagern: ImpfgegnerInnen, antisemitische Gruppierungen, rechtsextreme Kreise oder „Staatsverweigerer“ finden sich auf denselben Demonstrationen. „Teilweise mit höchst unterschiedlichen Motiven, aber mit ähnlichen Zielen“, wie Hammer betont. Zurzeit würden viele extremistische Tendenzen durch die Pandemie an die Oberfläche gespült, die sich lange Zeit im Verborgenen bewegt haben. Dadurch ergeben sich wiederum ganz neue Formen und gefährliche Mischungen. Dass soziale Medien und neue Kommunikationskanäle dabei eine entscheidende Rolle spielen, steht für ihn außer Zweifel. „Gerade dort wird vielen die Möglichkeit geboten, unter dem Radar der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu verschwinden, aber gleichzeitig gefährlich aktiv zu bleiben.“
Der Salzburger Theologe und Kirchenhistoriker Roland Cerny-Werner nahm zudem die christlichen Kirchen, besonders aber die katholische Welt, in die Pflicht: „Viele der aktuellen Narrative in Verschwörungsideologien haben ihren Ursprung im kirchlichen Antijudaismus und Antisemitismus.“ Den christlichen Kirchen komme eine Schlüsselrolle in der Geschichte, deshalb aber auch eine besondere Verantwortung in der Gegenwart zu: „Heute erleben wir, dass sich viele Verschwörungsmythen nach wie vor aus klassischen Motiven speisen: Es gibt neue Begriffe für uralte Formen. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich Bewegungen wie QAnon auf Geschichten wie Ritualmord, Elitenverschwörung und Bankenfamilien stützen. Denn das sind höchst wirksame und bekannte Narrative.“
In der Diskussion stellten sich die ExpertInnen auch den Fragen der interessierten BesucherInnen. Das breite Echo machte deutlich, dass die Auseinandersetzung mit den AnhängerInnen solcher Verschwörungserzählungen immer eine Gratwanderung bleibt: „Einerseits darf der Dialog nicht abgebrochen werden, um deren Abkapselung nicht noch mehr voranzutreiben. Gleichzeitig dürfe aber auch keine Bühne für solche Ideologien geboten werden“, machte Verena Fabris klar. Und Roland Cerny Werner ergänzte: „Die allermeisten Leute aus dieser Anhängerschaft müssen sehr wohl in die Verantwortung genommen werden. Das ist keine Frage der freien Meinung mehr, sondern der Verantwortung gegenüber den Mitmenschen. Alle, die solchen Theorien anhängen, müssen sich früher oder später damit konfrontieren, welche uralten und menschenfeindlichen Stereotype sie wieder befeuern.“


A.W., November 2021

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Bild v. l.:Dr. Roland Cerny-Werner, Mag. Verena Fabris, Franz Hammer