Miteinander bilden mit Haltung: Vertrauen, Gerechtigkeit und das kraftvolle Tun

Wie kann Teilhabe gelingen – und was verhindert sie? Welche Rolle spielen stereotype Bilder in unseren Bildungsinstitutionen? Und wie lässt sich aus dem Begriff Miteinander eine konkrete Praxis machen? Diese Fragen standen am Abschlusstag der 73. Internationalen Pädagogischen Werktagung im Zentrum. Drei pointierte Beiträge luden dazu ein, gesellschaftliche und bildungspolitische Perspektiven neu zu denken – aber auch, das eigene Tun zu reflektieren.


Zwischen Bühne und Befund: Wenn Kinder sagen, was sie erleben
Michael Schulte Markwort | Hamburg/Berlin

Eröffnet wurde der Vormittag vom Hamburger Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte Markwort, der seine Gedanken in einem ungewöhnlichen Bühnenformat präsentierte. Anhand eines Gespräches mit einer Schülerin aus Salzburg wollte er deutlich machen, was junge Menschen im Umgang mit Erwachsenen, aber auch in Bildungsinstitutionen an Teilhabe erleben – oder eben nicht erleben. 
„Ja, es gibt Erwachsene und auch Lehrpersonen, die sich nicht für uns und unsere Meinung interessieren“ – dieser Satz, scheinbar beiläufig, wurde in der Aula deutlich spürbar. Für Schulte Markwort ist das kein Einzelfall, sondern Symptom eines gesamtgesellschaftlichen Klimas, das vielerorts zu wenig echte Beziehung zwischen Generationen zulässt. Im Gespräch mit Melisa Musija wurde deutlich, dass die Haltung der intergenerationellen Verständigung auf Augenhöhe keinesfalls selbstverständlich sei. Viele Menschen sehen Kinder heute immer noch als „unfertige Menschen“, die geleitet, nicht begleitet, die gelenkt, nicht kooperativ eingebunden gehören. Er kritisierte in diesem Zusammenhang die starke Orientierung an Effizienz und kategorisierenden Leistungsnormen und forderte eine Rückbesinnung auf das, was Kinder stärkt: Vertrauen, Verlässlichkeit und wahrhaftige Begegnung.

Es zeigte sich, dass Kinder ein feines Gespür dafür haben, ob sich andere Menschen, insbesondere Eltern, Lehrpersonen oder ErzieherInnen tatsächlich für sie interessieren – oder nur mit ihnen arbeiten, so Schulte Markwort. Das zentrale Echo des Gesprächs: Teilhabe beginnt nicht mit dem Einholen von Meinungen und Mitbestimmung, sondern mit der inneren Haltung, Kinder als vollwertige GesprächspartnerInnen wahrzunehmen. Pädagogik sei deshalb in erster Linie auch keine Wissensvermittlung, sondern ein Beziehungsangebot – „und dieses Angebot können wir nicht delegieren oder in Lehrplänen nachlesen.“

Das Format dieses Beitrags war herausfordernd, für das Publikum, aber auch für den Experten selbst, wie dieser im Plenumsgespräch danach zugab. Umso größer war der Applaus für die junge Gesprächspartnerin, die anhand ihrer Erfahrungen die Positionen und Anliegen des Experten sichtbar machte und zugleich mehrmals einen Appell für die Anerkennung und Realisierung von Kinderrechten kommunizierte.


Stereotype Bedrohung erkennen – und auflösen
Haliemah Mocevic | Salzburg

Die Salzburger Psychologin und Bildungsexpertin Haliemah Mocevic legte mit wissenschaftlicher Klarheit dar, wie stereotype Zuschreibungen die Leistung und das Selbstbild junger Menschen beeinträchtigen können. Wer permanent das Gefühl hat, Erwartungen nicht zu erfüllen, internalisiert oft genau jene Bilder, die ihn oder sie ausgrenzen.

„Stereotype wirken nicht nur von außen – sie wirken in uns hinein“, so Mocevic. Besonders betroffen seien Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund, aus bildungsfernen Familien oder in prekären Lebensverhältnissen. Aber auch Lehrpersonen seien nicht frei von Erwartungseffekten. Bereits die Angst, in einem System oder von einem Gegenüber vorurteilsbehaftet und falsch wahrgenommen zu werden, beeinträchtige die Fähigkeit, in einem Bildungskontext Leistung zu erbringen. Deshalb müsse die Wirksamkeit von Vurverurteilung nicht erst auf der faktischen Ebene, sondern bereits in ihren möglichen Szenarien, in der Wahrnehmung einer potentiellen Bedrohung angesetzt werden.

Mocevic plädierte für weise Interventionen – kleine, gezielte Maßnahmen, die das Selbstbild von Lernenden stärken und Bildungsbarrieren abbauen: etwa ermutigendes Feedback, individuelle Zielvereinbarungen oder das Vermitteln eines dynamischen Selbstverständnisses. „Ein echtes Growth Mindset bedeutet nicht: Du kannst alles schaffen – sondern: Du bist mehr als deine Startbedingungen. Du wirst lernen, du wirst wachsen und du bist wertgeschätzt.“


Kraftvolles Tun als Bildungsauftrag im Sinne des Miteinanders
Clemens Sedmak | Salzburg

Der Sozialethiker Prof. Dr. Clemens Sedmak brachte das Tagungsthema Miteinander abschließend auf eine ethische Ebene – und zugleich in die Praxis. Mit philosophischer Tiefe und vielen konkreten Beispielen zeigte er, dass gesellschaftlicher Zusammenhalt nicht aus großen Reden, sondern aus kleinen Handlungen erwächst: „Das Miteinander beginnt nicht bei der Gesetzgebung – sondern bei der Art, wie wir einander begegnen.“

Sedmak sprach vom kraftvollen Tun – einer Haltung, die nicht auf Impulse von außen wartet, sondern die eigene Verantwortung ernst nimmt. Miteinander ist für Sedmak keine nach innen abgeschlossene Form der Abkapselung und abgrenzender Identitätsbildung, sondern eine integrative Haltung, die das eigene Potential mit dem anderer Menschen in Verbindung bringe. „Miteinander funktioniert nicht nach dem Muster einer Vorgabe oder eines Vertrages, sondern als eine Selbstverpflichtung auf das Beziehungsgeflecht zwischen den Menschen.“ Bildung, so Sedmak, sei dabei nicht nur institutionelle Aufgabe, sondern Ausdruck individueller und gesellschaftlicher Reife. „Wo sich Menschen für andere einsetzen, weil sie es können – nicht, weil sie müssen –, dort beginnt Demokratie von unten und eine lebenswerte Zukunft von morgen.“

Miteinander als ein aktives Tun und gemeinschaftsbildende Haltung ist für Sedmak „die vielleicht wichtigste Tugend“, um im Kontext des 21. Jahrhunderts eine lebensfähige Zukunft überhaupt möglich zu machen.

 

A. W., Juli 2025
Bilder: eds/naghshi