Von den Möglichkeiten vertrauender Haltung

Wie Zuversicht das Leben von Klein und Groß beleben kann

Salzburg. Auch am Freitag der diesjährigen „Internationalen Pädagogischen Werktagung“ standen die Beiträge der Vortragenden unter dem Thema „Zuversicht stärken“. Dabei präsentierten die ExpertInnen in der Großen Universitätsaula der Universität Salzburg interdisziplinäre Zugänge aus der Welt der Literatur sowie aus psychotherapeutischer und philosophisch-theologischer Perspektive. Dabei wurde deutlich: Zuversicht ist ein Thema, das die Möglichkeiten des Lebens auf vielfache Weise bereichern kann. 
 

Das Reich der Möglichkeiten entdecken und gestalten – Lena Raubaum (Wien)

Was kann Literatur im Raum des menschlichen Lebens bewirken? Die Wiener Autorin, Schauspielerin, Sprecherin und Trainerin Lena Raubaum betonte in ihrem lebendigen Vortrag, dass Literatur eine wesentliche Hilfe dafür sein kann, menschliche Probleme, Hemmungen oder Krisen zu bewältigen. Dabei sind Erzählungen in der reichen Bücherwelt so vielfältig wie das Leben der Menschen selbst: Die Assoziationen, die beim Lesen in unterschiedlichen Altersgruppen hergestellt werden, sind nicht zuletzt Antwortmöglichkeiten auf das eigene Leben.
„Worte können dich umarmen, zerstören, bestärken, ermutigen, beleidigen oder heilen“, unterstrich Raubaum. Die vielen Genres der Literatur seien dabei keinesfalls immer bestärkend oder ermutigend, sondern die Lebenslagen der großen und kleinen Menschen leben gerade von und mit dieser Vielfalt. „Literatur liefert in ihren Worten wahre Schätze und Möglichkeiten, welche die LeserInnen in ihrem konkreten Dasein bereichern können.“ Lena Raubaum zeigte sich überzeugt, dass die Ausdrucksvielfalt der Texte genau jene unendliche Vielfalt menschlichen Lebens aufnimmt und damit in ein Wechselspiel treten kann. Diesen Worten, so die 2022 mit dem Kinder- und Jugendbuchpreis ausgezeichnete Schriftstellerin, wohne genau jener Raum der Möglichkeiten inne, dem Menschen in ihrem individuellen Leben begegnen, der sie aber auch oftmals überfordern kann.
„Wer liest, hat viele Leben!“, schwärmte Raubaum. Jedem menschlichen Fragen, jeder Kultur, jeder Einstellung, entspricht ein Stück Literatur. Es gebe für alles Menschliche eine Entsprechung in der Welt der Wörter, Texte und Bücher. Gleichzeitig eröffnen diese wiederum neue, vielleicht ungeahnte Wege und Fähigkeiten, die zuvor nicht gesehen wurden. Literatur kann das Leben bereichern, nämlich genau dann, wenn die Menschen deren reiche Schätze wie auch die Möglichkeiten im eigenen Umfeld entdecken und erkunden.
Zuversicht sei dabei ein Schlüsselmoment: „Wenn die Welt der Literatur Räume für Möglichkeiten aufzeigt, dann kommuniziert sie zugleich, dass auch das Leben für Alternativen offen ist.“ Situationen von alternativen Perspektiven einzunehmen, könne sowohl in der Literatur als auch in konkreten Ereignissen die Kraft der Zuversicht sichtbar machen. Zuversicht lebe davon, dass die Vorstellungskraft des Menschen auf Potentiale und Möglichkeiten geöffnet und nicht bloß auf das Faktische reduziert wird. 
Menschen erkunden ihre Welt, ihre eigenen Fähigkeiten, haben Ideen, Überlegungen – literarische Werke „stellen ein Geleit in den Raum, das unendlich Vieles möglich macht! Manche Bilder stoßen uns zu gänzlich neuen Vorstellungen, ganz neuen Projekten und Ideen. Zuversicht lebt davon, dass diese Welt der Möglichkeiten vorgestellt wird.“ Besonders PädagogInnen arbeiten auch in diesem Raum der Möglichkeiten, stellte Lena Raubaum klar. Sie seien Teil dieser Welt der Ermutigung, Zuversicht, der Förderung von Kompetenzen und Potentialen – auch hier könne die Literatur eine wertvolle Partnerin sein. Der tosende Applaus der 500 TeilnehmerInnen gab Lena Raubaum mehr als Recht.
 

Wie Geborgenheit in vertrauender Zuversicht münden kann – Univ.-Prof. Dr. Emmanuel J. Bauer (Salzburg)

Der Salzburger Philosoph, Theologe und Psychotherapeut Emmanuel J. Bauer wandte sich in seinem Beitrag der grundlegenden existentiellen, psychologischen und persönlichkeitsbildenden Aspekte der Zuversicht zu. „Vertraust du nicht, dann lebst du nicht“, schloss er seine These an ein biblisches Zitat aus dem Buch Jesaia sowie den Kirchenlehrer Augustinus an. Zwischen Zuversicht, Vertrauen und letztlich auch der persönlichen Situation der jeweiligen Lebenssituation bestehen, so Bauer, grundlegende Zusammenhänge. Vertrauen bilde die Grundlage für ein gelingendes Leben, es sei eine Grundvoraussetzung für zentrale Bereiche zwischenmenschlicher Beziehungen.
Menschen können ihr Leben ohne die Grundbausteine des Vertrauens nicht leben, so eine Ausgangsthese des Salzburger Professors für Philosophie. Ob dies nun im Straßenverkehr, im Rechtsstaat oder in zwischenmenschlichen Beziehungen sei, das gegenseitige Vertrauen bleibe ein Grundbaustein des menschlichen Zusammenlebens. Wo Vertrauen unmöglich gemacht, zerstört, oder gar nicht ausgebildet wird, werde dem Antagonisten der Zuversicht, nämlich der Angst, Tür und Tor geöffnet. „Diese Angst tritt niemals allein zutage, sondern bringt zahlreiche Begleiterscheinungen mit sich. Viele der heute bedrängenden Probleme und Entwicklungen sind nichts anderes als Ausprägungen einer tief liegenden Angst“, zeigte sich Bauer überzeugt. 
Zuversicht hingegen zeige sich als Fähigkeit, die den Menschen Räume für alternativen Handlungs- und Lösungskonzepte anbietet. Grundvoraussetzung dafür sei aber eine Persönlichkeitsentwicklung, die von Begleitung und Sicherheit geprägt ist. Erst unter diesen Umständen könne eine Persönlichkeit jene Kompetenzen entfalten, die Handlungsenergie freisetzen und letztlich neue Sichtweisen ermöglichen. „Wo ein Mensch nicht in stabilen und geborgenen Zusammenhängen aufwächst, können die Fähigkeiten zur Ausbildung von Zuversicht, Hoffnung oder Mut gänzlich fehlen“, unterstrich Bauer.
Solche Strukturen zu schaffen und zu ermöglichen, bleibe ein wesentlicher Auftrag und umfasse sowohl familiäre Umgebungen, aber auch pädagogische, gesellschaftliche und institutionelle Voraussetzungen. Vertrauen, das einmal verloren sei, könne nur sehr schwer und langwierig wieder aufgebaut werden. Dennoch entscheiden sich an dieser Herausforderung nicht selten die Schicksale von einzelnen Menschen, ihre Beziehungen zueinander und in weiterer Folge auch das Gelingen ganzer Gesellschaften. 
Ohne zwischenmenschliches Vertrauen, aber auch Zutrauen an sich selbst, könne so etwas wie Zuversicht gar nicht ausgebildet werden. Durch die persönliche Stabilität, die bereits in der frühkindlichen Entwicklung grundgelegt wird, können Menschen die Räume des Lebens, die nicht definiert sind, nützen und als positive Potentiale annehmen. Dynamisches Leben sei daher nur im Vertrauen möglich, Zuversicht nur in der Haltung, dass wesentliche Bereiche menschlichen Daseins beeinflusst werden können.
Zuversicht erweise sich bei genauerer Betrachtung als ein Vertrauen auf die Potentiale des Lebens, gepaart mit einer großen Portion Selbstbewusstsein, dass man Situationen und Voraussetzung möglicherweise ändern kann. „Ob Menschen handlungsfähig und beziehungsfähig sind, entscheidet sich nicht zuletzt an ihrer Kompetenz, sich im Mut auf andere Menschen oder alternative Lebensentwürfe einzustellen“, schloss Bauer. 
Zuversicht und Angst seien zwei Kehrseiten der einen Medaille: „Wie Menschen auf die Unberechenbarkeit des Lebens antworten, hängt von ihrer eigenen Persönlichkeit, ihren Erlebnissen, aber natürlich auch von den Umfeldern ab, durch die sie geprägt sind.“ Zuversicht sei dabei jene vertrauensvolle Kraft, die an der eigenen Gestaltungsfähigkeit festhält und ein positives Selbstbild damit verbindet, während die Angst nicht selten auf einem geringen Selbstwert und erheblicher Verunsicherung beruht. „Gelingt die grundlegende Selbstbejahung, dann ist ein Leben in Zuversicht, Vertrauen und in Beziehungen möglich. Kinder und Jugendliche bei diesem Unterfangen zu begleiten und zu fördern, ist eine Arbeit an der Zukunft!“


Quellen der Zuversicht als pädagogische Potentiale – MMag. Dr. Melanie Wolfers (Wien)

Die in Wien lebende Theologin und Philosophin Melanie Wolfers gab in ihrem Abschlussvortrag der diesjährigen Ausgabe der „Internationalen Pädagogischen Werktagung“ einen ermutigenden und differenzierten Einblick in das Generalthema der Zuversicht. Als vielbeachtete Bestsellerautorin befasst sich die Ordensangehörige der Salvatorianerinnen mit den großen Fragen des Lebens, der persönlichen Lebensentwicklung und spiritueller Quellen menschlichen Lebens.
Zuversicht sei niemals ein naiver Optimismus, der die Welt durch eine Art „rosa Brille“ sieht. Vielmehr ist diese Haltung eine differenzierte Zugangsweise zu Lebenssituationen. Genau das mache Zuversicht zu einem Kernmoment menschlichen, aber insbesondere auch pädagogischen Handelns: Denn nicht nur die Zuversicht der Lehrenden, sondern auch der Lernenden, müsse gepflegt und immer wieder neu bestärkt werden.
Eine von Zuversicht geprägte Person kann die Welt analysieren – und zwar unter den Vorzeichen von Möglichkeiten, von Zukunftsperspektiven und aktiven Handlungsfeldern. „Zuversicht ist eine Art Spürsinn, was die kommende Zeit an Positiven bereithalten könnte“, so Wolfers. Dabei bleibe ein zuversichtlicher Mensch nicht bei der reinen Möglichkeitsform stehen, um auf eine Änderung zu warten, sondern er mache sich auf, an dieser alternativen Wirklichkeit mitzuwirken und sie zu gestalten. Dabei gebe es zahlreiche Hindernisse auf dem Weg zu dieser Haltung, etwa die Problemfokussierung gegenwärtiger Strömungen. 
Um Zuversicht im persönlichen, familiären, aber auch im pädagogischen und gesellschaftlichen Umfeld zu bestärken, könne auf unterschiedliche Faktoren aufgebaut werden: So stehe eine positive Einstellung zum eigenen Körper und Erscheinungsbild ebenso in Beziehung zur Entwicklungsmöglichkeit von Zuversicht wie zwischenmenschliche Beziehungen. Zudem sei auch die Fundierung der eigenen Wertvorstellungen und Sinnerfahrungen eine Grundbedingung dafür, um überhaupt im Rahmen von Zuversicht positive Aspekte und deren kreatives Potential erkennen zu können. Ebenso ist der Faktor „Gemeinschaft“ für Melanie Wolfers eine entscheidende Quelle der Zuversicht: Im gemeinsamen Leben und Tun können Menschen nicht nur ihre eigenen Handlungspotentiale erkunden, sondern auch Entlastung, gegenseitige Unterstützung und soziale Befähigung erleben.
Abschließend strich Melanie Wolfers den Wert der spirituellen Beheimatung hervor: Ein Aspekt des spirituellen Lebens bestehe in wesentlichem Maße darin, in einer dialogischen Beziehung zu anderen und zum Kosmos zu sein. Zuversicht ist ähnlich wie eine spirituelle Übung insbesondere ein Einüben in das Geheimnis des Möglichen. Sich diesem zu stellen, heiße auch, sich verfügbar zu machen, aber auch das eigene Leben und Handeln als Werkzeug der Zukunft anzuerkennen. Zuversicht habe insofern wesentliche Konsequenzen für das eigene Leben, aber auch für die Menschen in der direkten Umgebung, im pädagogischen Alltag und der gesellschaftlichen Realität.

 

A. W., Juli 2023

Bild: Hiwa Naghshi/eds