Innsbrucker Philosophin in Salzburg: Plädoyer für lebendige Aufklärung
72. Internationale Pädagogische Werktagung zum Thema „Veränderungen“ eröffnet. Elementarpädagogik-Magazin „Unsere Kinder“ feiert 100-jähriges Bestehen. Innsbrucker Philosophie-Professorin und Ethikerin Marie-Luisa Frick als Eröffnungsvortragende mit Plädoyer für lebendige Aufklärung, einen „Humanismus ohne Überforderung“ und mit Warnung vor vermeintlich „Künstlicher Intelligenz“.
SALZBURG (eds) / Am Mittwochabend wurde in der großen Universitätsaula in Salzburg die 72. Internationale Pädagogische Werktagung (IPWT) eröffnet. Die Tagung geht noch bis Freitag dem großen Thema Veränderungen und der Frage nach: „Wie wollen wir mit ihnen umgehen?“ Präsident Andreas Paschon begrüßte Teilnehmende aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, aus Südtirol. Es gehe darum, Veränderungen herbeizuführen, bewusst zu gestalten und zu begleiten, führte Paschon in die Tagung ein. „Wir sind gleich einer Sternwallfahrt aus unterschiedlichsten Orten hergekommen, um uns über das Wie auszutauschen.“ Veränderungen machen Sinn – aus der Möglichkeit, sie mitzugestalten, betonte er. Im Zuge der Tagungseröffnung gratulierte er dem Team des Elementarpädagogik-Magazins „Unsere Kinder“ zum 100-jährigen Bestehen.
Die Eröffnungsvortragende, die Innsbrucker Philosophie-Professorin Marie-Luisa Frick würdigte Paschon in seiner Einleitung als vielfältige Vortragende, äußerst renommierte Philosophin und Ethikerin. Mit Blick auf das Tagungsthema und Generationen hielt Paschon fest, dass ein diesbezüglicher Wandel auch bei der IPWT sichtbar werde. Empowerment sei das „Zauberwort in der Pädagogik“, wesentlich sei der „Magic Moment“, eine Form der Sensibilisierung, Veränderungen schneller zu sehen, die aus der Reizflut hervorstechen. „Wir täten gut daran, vieles zu ändern, auch politisch“, sagte er mit Blick auf die Bevölkerungspyramide Österreichs. Es brauche das Denken mit Blick in die Zukunft und gleichzeitig das Vorbereitet-sein. „Dann können wir sehen, was Unrecht ist. Wir müssen hinschauen“, betonte er. Dabei sei es wichtig, aufzuzeigen etwa bei Gewaltprävention, aber auch über das Jammern hinwegzukommen. „Veränderungen herbeiführen heißt auch, vielleicht neue Menschenrechte zu gestalten, damit wir überleben.“
Mündigkeit, Vernunftgebrauch und Humanismus
Die Innsbrucker Philosophin Marie-Luisa Frick ging in ihrem Eröffnungsvortrag der Frage nach, inwiefern Aufklärung Zukunft hat. „Wenn sie lebendig bleibt“, so das Fazit der Professorin. Denn die Aufklärung sei nicht abgeschlossen. „Viele wichtige Fragen von heute haben ihre Geburt im 17. und 18. Jahrhundert und keine abschließende Antwort.“ Es gehe darum, sich gründlich damit zu befassen, um zu verstehen, „wie schwierig es ist, diesen ganz hohen Idealen der gleichen Menschenwürde, der Freiheit des Individuums, des gesellschaftlichen Wohlergehens gerecht zu werden“, betonte sie im Anschluss an ihren Vortrag.
Als drei konkrete Herausforderungen benannte sie im Vortrag erstens „die Zukunft der Mündigkeit“, zweitens „die Zukunft des öffentlichen Vernunftgebrauchs“, etwa im virtuellen Raum, und drittens „die Zukunft des Humanismus“. Bei letzterem brauche es beides: Inklusivität plus Pluralität, es brauche zudem einen „Humanismus ohne Überforderung“. Ein aufgeklärter Humanismus mit der „Würde eines jeden Menschen“ im Fokus müsse dem Egoismus entgegenstehen und gegenüber anderen Spezies offen sein, Tiere und Menschen im Blick haben.
„Wir können die Vergangenheit der Aufklärung und ihr Echo als Einladung verstehen“, hielt Frick fest. Mit Fragen um die Gleichheit kämpfe die Gesellschaft bis heute. In Hinblick auf die großen Religionen und Konfessionen etwa, wies sie auf die bis heute oft großen Unterschiede in der Toleranz gegenüber anderen Religionsgemeinschaften und auf unterschiedlichste Konzepte wie Par M. de Voltaire und John Locke hin, wenngleich eine Entwicklung zu sehen sei. „Wir haben keine einheitliche Vorlage, auf die wir uns beziehen können.“ Sie präsentierte unter anderem das Konzept von Mary Wollstonecraft, die 1792, damals revolutionär, Männer und Frauen als „aus derselben Erde geformt“ als Menschen mit gleichen Rechten dachte, festgehalten unter dem Titel „A Vindication o the Rights of Woman“. Fehlende Rechte für Frauen sei ein Problem, das bis heute besteht, hob Frick hervor.
„Menschenrechte und Probleme, die wir damit aus der Aufklärung geerbt haben, sind nicht wenige.“ Es sei Material da, für dessen Veränderung es alle Generationen brauche. Bezugnehmend auf Neil Postmans „Die zweite Aufklärung“ stellte Frick die Frage in den Raum, ob neue Technologie wie etwa die vermeintlich „Künstliche Intelligenz“ (KI) die Probleme, für die sie entwickelt wurde, überhaupt lösen könne. „Wir haben keine Kontrolle. Die Schäden, die daraus entstehen können, sind nicht abschätzbar.“ Sie schloss sich den inzwischen international lauter werdenden Warnungen davor an: „Technologie wie ChatGPT und andere KI-Systeme lösen diese Probleme nicht. Wir haben eine Technologie, der für den entscheidenden Punkt überhaupt nicht geeignet ist.“
Einzige Konstante
In Vertretung und im Auftrag von Erzbischof Franz Lackner begrüßte der Grazer Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl als Referatsbischof der Bischofskonferenz für Bildung und Schule die Gäste und eröffnete die diesjährige, 72. IPWT. Er zeigte sich dankbar, dass sich die diesjährige Werktagung dieses großen Themas annimmt. „Die Auseinandersetzung mit den vielen Aspekten von Veränderung ist eine notwendige Auseinandersetzung mit existentiellen Prozessen: Leben bedeutet Veränderung, Menschsein bedeutet Gestaltung.“ Den Gästen wünschte er: „Mögen Sie die Impulse, Diskussionen und Begegnungen der kommenden Tage aufbauende und erkenntnisreiche Veränderungen erleben lassen und die Aufmerksamkeit schärfen.“
Denn, Veränderung sei „die einzige Konstante“, zitierte er Heraklit. Sie habe viele Gesichter, „abhängig davon, in welchem Kontext wir sie erleben und welche Bedeutung sie für unser konkretes Leben hat: manchmal empfinden wird sie als anregend, ein anderes Mal als entmutigend. Diese Spannung prägt unsere Existenz.“ Angesichts der aktuell vielen Veränderungen, bedingt vor allem „durch die Sorge um den Frieden, die Umwelt, die soziale Gerechtigkeit und den Wohlstand in dieser Welt“. Wo Veränderungen einen Menschen selbst zu einem Wandel „nötigen“, indem sie Vertrautes oder Bewährtes in Frage stellen, Ungewissheiten nähren, Hoffnungen erschüttern oder bloß in atemlosem Tempo voranschreiten, „belasten sie, und manchmal machen sie sogar Angst“.
Veränderungen seien jedoch Voraussetzung für alle Entwicklung, die existiert: „Sie bereichern unser Leben, sind notwendige Schritte der Zukunftsgestaltung und öffnen Türen. Sie sind Formen der Erneuerung: erst durch Veränderungen kann sich unser Leben entfalten, kann Persönlichkeitsbildung geschehen und können Richtungen im Leben bewusst gewählt werden.“ Wo Veränderungen motivieren, Hoffnungen begründen und als Fortschritt empfunden werden, „lassen sie uns wachsen und helfen sogar, eigene Grenzen zu überwinden“, sagte Bischof Krautwaschl. Veränderungen sieht er als „natürlichen Prozess“, ein manchmal unbequemes Naturgesetz, das „Komfortzonen“ nicht schone und ständige Bewegung und Anpassung erfordere, auf allen Ebenen des Seins. „Dem Leben und was es mit sich bringt Rechnung zu tragen, bedeutet, Veränderungen annehmen, sie zu gestalten und sie zu einem guten Ergebnis zu führen.“
Internationale Pädagogische Fachtagung
Unter den Teilnehmenden aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und aus Südtirol waren unter anderem Vertreter des Domkapitels und des Konsistoriums der Erzdiözese Salzburg, PH-Salzburg-Vizerektor Matteo Carmignola, die ehemalige Präsidentin der Katholischen Aktion Salzburg, Doris Witzmann, der Vorsitzende des Katholischen Bildungswerkes Salzburg, Andreas Seidl, Leitende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Erzdiözese, darunter Seelsorgeamtsleiterin Lucia Greiner, Schulamtsdirektor Erwin Konjecic, Caritas-Salzburg-Direktor Johannes Dines. Zudem waren Vertreterinnen und Vertreter der Politik auf Landesebene und der Stadt Salzburg, darunter zahlreiche aktive und ehemalige Landtagabgeordnete und Gemeinderäte der Stadt Salzburg aller Parteien und diverse Beamte aller Körperschaften vom Bund abwärts gekommen sowie Vertreterinnen und Vertreter der Universität Salzburg, der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig und Tagungs-Präsident a. D. Anton Bucher.
Die Internationale Pädagogische Werktagung gilt mit jährlich etwa 500 Teilnehmenden als eine der wichtigsten pädagogischen Fachtagungen im deutschsprachigen Raum. Sie richtet sich an Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, und findet noch bis 12. Juli statt. Veranstaltet wird die jährliche Tagung vom Katholischen Bildungswerk Salzburg (KBW) in Kooperation mit der Caritas Österreich, der Paris Lodron Universität Salzburg und der Pädagogischen Hochschule Salzburg Stefan Zweig. Unterstützt wird die Tagung vom Land und der Stadt Salzburg.
(Infos: www.bildungskirche.at/werktagung)