Spielend lernen und die Welt begreifen

Salzburg (14.7.2022, Katholisches Bildungswerk Salzburg). Am zweiten Tag der 70. Internationalen Pädagogischen Werktagung (IPWT) in Salzburg wurde die Thematik „Faszination Spiel“ weiter vertieft.

- Philosoph Dr. Christian Klager (Rostock) hob die engen Verbindungen von Spiel und Philosophie hervor: „Die Welt zu erkunden, zu erkennen und zu verstehen setzt Freude am Experimentieren, an Kreativität und die Faszination am Neuen voraus.“ Im Spielen kommen erkenntnistheoretische, pädagogische und existentielle Phänomene zusammen und machen das Spiel in seinen vielfältigen Facetten zu einem anthropologischen Schnittpunkt.

- Mediziner Dr. Oskar Jenni (Zürich) setzte sich in seinem Beitrag besonders mit der Verknüpfung von Spiel und Lernen als entwicklungsmedizinische Orientierungspunkte auseinander. Die kindliche Entwicklung sei zutiefst an die Erfahrung, die Bereitschaft und die Möglichkeiten des Spielens gebunden. Das Spielverhalten von Kindern lasse auf die Entwicklung des Kindes schließen und kann somit auch als zentraler Gradmesser im Lernprozess gelten.

Spielende Entdeckung der Welt
„Zahlreiche Situationen des menschlichen Lebens lassen sich als Spiel begreifen“, betonte Dr. Christian Klager. Spiele simulieren, so der wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Rostock, in einem dynamischen, flexiblen, aber regelgeleiteten System, wie Probleme bearbeitet und gelöst werden können. Dies lasse sich keinesfalls nur im Umfeld der klassischen Spielekonzepte im analogen oder digitalen Raum finden, sondern auch im Alltag der Menschen. Der deutsche Philosoph zeigt sich überzeugt: „Das Spielen ist eine Form menschlicher Erkenntnisarbeit, in der Situationen analysiert, Lösungen entworfen und ausprobiert werden.“ Es sei keinesfalls eine triviale Beschäftigung, sondern eine anthropologische Grundtätigkeit menschlichen Lebens. Damit stellen Spiele für Menschen einen zentralen Zugang zur Welt dar, indem sie in einem abgesteckten Rahmen Lösungsprozesse erfordern, neue Wege eröffnen und alternative Konzepte erkunden lassen.

Leben für das Spiel – Spielen für das Leben
„Die spielende Tätigkeit findet zwar in einem abgeschlossenen und begrenzten Format statt, sie lässt die Menschen aber durchaus Anleihen aus dieser Spielewelt in ihr Leben mitnehmen.“ Spiel sei kein einfacher Zeitvertreib, sondern eine Investition in neue Möglichkeiten, die zunächst ausprobiert, die aber strukturell auch in die Welt außerhalb des Spieles überführt werden können. Dies betreffe auch grundlegende Erkenntnisprozesse, die durch Spielekonzepte beeinflusst werden können, wie etwa die Dialektik von Gut und Böse, den Unterschied zwischen „Meins und Deins“ oder die ästhetische Aneignung der Welt. Gleichzeitig laden Spiele auch dazu ein, fantasievoll die Grenzen der Welt zu überschreiten, alternative Konzepte von Wirklichkeit zu denken und zu entwickeln.
In Spielen können aktuelle Themen und Probleme (Verteilung von Ressourcen, Kooperationsmodelle etc.) simuliert werden – dabei werden die Spielenden in einen Erkenntnis- und Lösungsprozess mitgenommen, zeigte sich Klager überzeugt. „Die Regeln, nach denen Spiele funktionieren, ähneln den Normen, in denen die Menschen leben – wer im Spiel lernt, dass Regeln nicht nur befolgt, sondern auch gebrochen, verändert oder neu entworfen werden können, wird auch im realen Leben mit diesen Assoziationen leben lernen.“ Dies impliziere aber auch, dass Spiele kritisch begleitet und analysiert werden müssen: Spiele eröffnen einen Raum an Möglichkeiten, sie können aber durchaus Gefahren in sich bergen, unterstrich Klager in seinem Vortrag.

Lernen als Kinderspiel
Das Kinderspiel als Gradmesser für kindliche Entwicklung stand ganz im Zentrum des Vortrags von Prof. Dr. Oskar Jenni. Der Züricher Mediziner und Fachexperte für kognitive und soziale Kindesentwicklung legte den Fokus auf frühkindliche Lernprozesse und die vielfältigen Rollen, die das Spiel darin einnehmen kann. Ebenso wie das Lernen in höchst unterschiedlichen Prozessen stattfinden kann, so sind auch die Spielformen keinesfalls homogen. Die englische Unterscheidung zwischen „play“ als freies Spielen und „game“ im Sinne eines regelgebundenen Spieles beschreibt eine mögliche Kategorisierung, so Jenni. Dennoch bleiben Versuche, das menschliche Spiel zu definieren, unzureichend. Besonders Kinder spielen spontan, höchst flexibel, emotional besetzt und oftmals nicht nach genauen Abläufen. Das frühkindliche Spiel sei dennoch, auch wenn es über weite Strecken keine Regelfolge kennt, ein wesentlicher Part im frühen Welterleben:
Bereits Kinder ab drei Monaten beginnen, mit ihrem Mund Gegenstände und Dinge zu erkunden. Diesem ersten spielerischem Entdecken folgen ebenso noch im ersten Lebensjahr das manuelle sowie visuelle Entdecken der Welt: Mund, Hände und Augen werden damit zu den ersten spielerischen Instrumentarien, wie Kinder ihre Umgebung aktiv kennenlernen. Hier lernen Kinder, mit Spannung, Enttäuschung sowie Überraschungen umzugehen. Das Spiel der Kinder ist bereits in diesem Lebensabschnitt äußerst gefühlsbetont, stellte Oskar Jenni klar. „Das Herausbilden und die Regulation von motorischen, aber auch emotionalen Fertigkeiten sei eng verbunden mit der Art und Weise, wie das Kind spielt.“ Die unterschiedlichen Formen von Spiel (Raumspiel, Symbolspiel, Rollenspiel) helfen den Kindern dabei, nicht nur Neues zu erkunden, sondern auch bereits gemachte Erfahrungen zu verarbeiten.

Spielen als Grundbedürfnis
Für die Arbeit der Medizin, Psychologie und Pädagogik lassen Beobachtung der kindlichen Spieleweise wichtige Rückschlüsse zu: Die Entwicklung von Kindern kann in den Spieleformen gespiegelt werden, die Bereitschaft zu spielen sowie die Spielfreude der Kinder werden zu Orientierungspunkten ihres Entwicklungsstandes. Mithilfe von Analysen im Spieleverhalten der Kinder hat der Schweizer Experte mit seinem Forschungsteam eine Diagnostikform entwickelt: Wann, wie und mit welchen Schwerpunkten die jungen Kinder spielen, lassen auf diese Weise Rückschlüsse auf den Entwicklungsstand, das Potential sowie Über- und Unterforderung zu. Das Spiel ist auf diese Weise mehr als ein bloßes Erkunden, sondern es bildet eine medizinisch-diagnostische Erkenntnisquelle. Die Bereitschaft zu spielen („playfulness“) signalisiert zentrale Elemente des kindlichen Entwicklungsprozesses und liefert damit auch wichtige Anhaltspunkte bei Störungen bzw. Problemen in der frühkindlichen Entwicklung.
Das Spiel sei zudem bereits im frühkindlichen Alter ein tiefes Bedürfnis, dessen Entzug weitreichende Folgen haben kann, betont Oskar Jenni: „Ähnlich wie bei Schlafentzug der Schlafdruck steigt und psychische wie auch physische Folgen eintreten können, lassen Studien auf einen ähnlichen Zusammenhang im kindlichen Spiel schließen: Wenn Kindern das Spielen vorenthalten wird, kann der Motor der kindlichen Entwicklung nachhaltig gestört werden.“